Sommertörn ’24 – IV
Tag 20 – Vor dem Wind gen Westen (7/IX)
Über Nacht hat der Wind merklich nachgelassen, so können wir uns nach dem Frühstück auf den Weg machen. Heute wollen wir weiter nach Westen – durch den Grønsund in die Gegend von Vordingborg.
Das Ablegen läuft mittlerweile routiniert, aber vor dem Hafen steht immer noch eine ziemliche See. Bei dem Geschaukel verzichten wir auf Groß und Klüver, spätestens ab der Einfahrt in den Grønsund laufen wir eh direkt vor dem Wind, und da hat sich die Besegelung aus Besan und Fock als sehr gut heraus gestellt.
Auf den 10nm bis zur Einfahrt in den Sund werden wir einige Male kräftig durchgeschüttelt, aber kaum haben wir die Untiefe Tolkebarren passiert, laufen wir ruhig und schnell zwischen Falster und Møn hindurch. Das Wetter ist allerbest, und während die schönen Küsten an uns vorbei ziehen, überlegen wir uns ein Ziel für den Abend, kurz vor der Storstrømbroen, der Verbindung zwischen Falster und Sjælland, müssen wir uns entscheiden: Machen wir einen Umweg von knapp 10nm nach Vordingborg (heute 5nm hin und morgen 5nm zurück), oder laufen wir noch heute 19nm nach Femø, dem ersten Hafen hinter der Brücke?
Da es mittlerweile schon 16Uhr ist, entscheiden wir uns für Vordingborg. Nach einem Telefonat mit Lars, der im Stadthafen von Vordingborg einige Tage zuvor aufgelaufen ist, entscheiden wir uns dann aber gegen den Stadthafen und für die kleine Masnedsund Marina. Während die Anfahrt schnell und gut verläuft, stellt uns die Einfahrt in den Hafen vor massive Probleme: Die Passage der engen Hafeneinfahrt, mit fast 2kn quer setzendem Strom davor, gelingt uns erst im zweiten Anlauf.
Durchschnittsgeschwindigkeit: 4.33 knots
Gesamtzeit: 07:37:09
Der Hafen wirkt irgendwie wie eine surreale Collage: Auf der Westseite stehen einzelne Wohnblöcke, im Osten kleine Hütten – nach Süden guckt man auf Industrie, nach Norden auf eine Bauwüste. Die wenigen Menschen tragen weite Gewänder und sprechen definitv nicht dänisch, die Boote stehen schon fast alle an Land.
Die geschlossenen Sanitäranlagen stören uns nicht, fairerweise ist aber auch der Hafenautomat schon abgeschaltet. Alles in allem ist unser Liegeplatz zwar gut und sicher, den Hafen können wir aber nicht weiter empfehlen.
Robbi geht einkaufen, der nächste Supermarkt ist nicht weit weg, dann kochen wir und genießen den Abend im Cockpit. Mittlerweile hat der Wind so stark nachgelassen, dass wir froh sind, uns gegen die vielen Meilen nach Femø entschieden zu haben.
Tag 21 – Flucht in den Westen (8/IX)
Laut Wetterprognose soll es nur noch heute östliche Winde und sommerliche Temperaturen geben; ab morgen Mittag erwarten wir einen Wetterwechsel mit Regen und Sturm aus West. Wir entscheiden uns daher gegen eine der schönen Inseln im Smålandsfarvandet und wollen versuchen Nyborg, auf der Ostseite von Fyn, zu erreichen.
Die Ausfahrt aus dem Hafen klappt bedeutend besser als die Einfahrt gestern, dann geht es durch das teils sehr enge Fahrwasser Richtung Storstrømbroen. Auf den ersten 2nm haben wir den Wind genau von vorne, das nutzen wir, um alle Segel zu setzen – dann rauschen wir Richtung Westen. Hinter der alten Storstrømbroen müssen wir die Baustelle für ihren Neubau passieren, das ist allerdings gar nicht so einfach: Unsere aktuellen Navionics Karten sind gar keine Hilfe, und auch die gut gepflegten NV Charts lassen viel Spielraum für Interpretationen. Am Ende identifizieren wir aber eine Ansteuerungstonne (auf einer ganz anderen Position als in den Karten angegeben) und folgen dem Fahrwasser.
Hinter dieser Enge liegt eine weite Wasserfläche vor uns: das Smålandsfarvandet. (In einigen Büchern auch als Smålandshavet bezeichnet.) Es ist ein Seitengewässer des Großen Belts zwischen den Inseln Sjælland und Lolland, inklusive der Karrebæksminde Bugt erstreckt es sich auf 908 km².
Die knapp 30nm bis Omø laufen wir bei wechselnden, schwachen achterlichen Winden, und nur die Begegnung mit der Königsyacht Dannebrog bietet etwas Abwechslung. Gegen 16:30Uhr passieren wir die Enge zwischen Omø und Agersø, dann geht es auf den Storebælt.
Die Route T kreuzen wir ohne nennenswerten Querverkehr, leider dreht der Wind aber immer westlicher und schläft am Ende ein – konnten wir bis eben noch herrlich segeln, so muss jetzt wieder der Motor unterstützen. Gegen 19Uhr erreichen wir die Ansteuerung von Nyborg und bergen die Segel, eine halbe Stunde später passieren wir die Molenköpfe des Vesterhavn.
Durchschnittsgeschwindigkeit: 4.90 knots
Gesamtzeit: 10:26:12
Mit der untergehenden Sonne suchen wir uns einen, gegen den angekündigten West-Südwest, gut geschützten Liegeplatz, wir finden diesen im Østerhavn. Die fehlenden oder weit auseinander stehenden Poller erschweren zwar unser Manöver, am Ende liegt Ingeborg aber gut und sicher.
Nyborg gehört auch zu den TS-Frihavn, allerdings muss man ein Miljøbillet kaufen, dieses deckt die Gebühren für Wasser, Strom und Abfall. Leider scheint man in Nyborg bei der Kalkulation eher an die großen Schoner gedacht zu haben, denn es kostet fast genau so viel wie die reguläre Hafengebühr für ein Boot unserer Größe.
Tag 22 – Nyborg (9/IX)
Über Nacht ist es kalt, stürmisch und regnerisch geworden; das ganze Deck liegt voll welker Blätter und Sand – die Kehrseite von einem Liegeplatz in Lee einer Mole. Zum ersten Mal, seit Beginn unseres Törns, holen wir die langen Hosen und Regenjacken hervor, dann machen wir uns auf den Weg in die kleine Stadt.
Wenn man Nyborg auf dem Wasserweg erreicht, sieht man dem Ort auf den ersten Blick nicht mehr an, dass er bereits über 700 Jahre alt ist und damit zu den ältesten Provinzstädten Dänemarks gehört. Als Schauplatz vieler historischer Ereignisse, hat Nyborg die Geschichte des Landes entscheidend geprägt, so wurde zum Beispiel 1183 auf Schloss Nyborg der erste dänische Gerichtshof abgehalten. In der Folgezeit trafen sich hier alljährlich der Klerus, der Adel und der König. Dieses Treffen hatte im Jahr 1282 einen entscheidenden Einfluss auf das dänische Reich: Der Adel zwang den schwachen König Erik Klipping zum Verzicht auf seine uneingeschränkte Macht und verweigerte ihm weitreichende Rechte. Die Vereinbarungen wurden in der sogenannten Håndfæstning, einer Art erster Verfassung Dänemarks, festgehalten. Zum ersten Mal wurde festgelegt, dass niemand ohne Gerichtsurteil inhaftiert werden durfte.
Heute verzichten wir auf Sightseeing und huschen lieber in den wenigen Regenpausen von einem Laden zum nächsten, Robbi kann vor allem von den Second-Hand Läden nicht genug bekommen. Den halben Tag stöbert er von einer Genbrugsbutik zur nächsten Røde Kors Butik – ich bin nur froh, dass es hier nicht auch noch einen Loppemarkt (Flohmarkt) gibt.
In einer Regenpause machen wir uns dann, mit einem Abstecher über die Vor Frue Kirke, auf den Rückweg zum Boot. Der Grundstein zu diesem Bauwerk wurde 1388 von Königin Margarethe gelegt.
Den Nachmittag verbringen wir an Bord, wir lassen sogar einige Zeit unsere Heizung laufen – der Herbst ist da. Heute wollen wir ausnahmsweise mal nicht kochen, abends gibt es Sushi in einem kleinen Laden, den wir bei unserem letzten Besuch entdeckt haben.
Tag 23 – Der Herbst beginnt (10/IX)
Heute hätten wir sicher bis weit nach Mittag in der Koje verbracht, aber gegen 11Uhr, Robbi hat gerade den zweiten Kaffee aufgesetzt, klopft es an unser Boot. Als ich meinen Kopf aus dem Luk in den kalten Wind halte, sehe ich einen Mann in Zivil auf der Mole: Einreisekontrolle. Ich kann mich in Ruhe anziehen, dann kontrolliert er unsere Ausweise, fragt nach unserer bisherigen und unserer geplanten Route, dann verabschiedet er sich freundlich – in 30 Jahren Segeln in Dänemark war dies meine erste Kontrolle in einem Hafen.
Über Mittag hört der Regen dann auf, und im pfeifenden West machen wir einen Spaziergang über die Wallanlagen. Nyborgs gut erhaltene Stadtmauern erstrecken sich in einem Halbkreis um die Altstadt. Bei einer Tour entlang der alten Stadtmauer kommt man auch an der Freilichtbühne der Stadt vorbei. Das Schloss wurde um 1170 als Glied in einer Kette von Befestigungsanlagen zum Schutz des Großen Belts errichtet. Die anderen Glieder der Kette waren die Insel Sprogø und Korsør am gegenüberliegenden Ufer.
Obwohl die Burg selber 1869 abgerissen wurde, weil die Steine anderweitig als Baumaterial benötigt wurden, sind der unterste Teil des Hauptturms und der restaurierte Westflügel erhalten geblieben.
So schnell und heftig der Wind auch gekommen war, am Abend ist alles vorbei. Ingeborg liegt ruhig im Sonnenuntergang, und wir spülen den Dreck von ihrem Deck – morgen geht es weiter.
Tag 24 – In der Nachsaison findet man auch Platz (11/IX)
Der Morgen ist kalt aber schön. Nach dem Frühstück verlassen wir bei Flaute den Hafen von Nyborg und setzen Kurs Süd – immer entlang der Ostküste von Fyn. Kurz überlegen wir in Lundeborg zu stoppen, aber es läuft gerade so gut.
Eine Meile nördlich von Thurø Rev kommt plötzlich Wind auf. Aus dem lauen Lüftchen wird innerhalb weniger Minuten Starkwind, und auf den letzten Meilen haben wir diesen dann genau von vorn. Es dauert nicht lange, Robbi ist schon pitschnass, dann sind wir auch schon an der Küste von Tåsinge – der Spuk ist vorbei.




Im Schutz der Insel laufen wir bis Troense und haben tatsächlich Glück: In dem sonst so oft überfüllten Hafen finden wir einen super schönen Platz an der äußeren Brücke.
Durchschnittsgeschwindigkeit: 5.16 knots
Gesamtzeit: 04:28:38
Bevor wir uns auf einen Spaziergang durch Troense begeben, entsalzen wir das Boot und machen etwas klarschiff. Die vielen, unter Denkmalschutz stehenden, Fachwerkhäuser sind immer wieder ein toller Anblick: Mit den geschnitzten Türen, den kleinen Fenstern und ihren zierlichen Vorgärten, bietet besonders die Grønnegade ein geschlossenes Straßenbild vergangener Tage. Viele behaupten, dass es sich hier um „Dänemarks schönste Straße“ handelt.
Da es nicht nur immer noch recht kalt ist, sondern mittlerweile auch merkbar früher dunkel und feucht wird, verzichten wir auf einen Besuch bei Valdemars Slot (auch wenn die spätbarocke Anlage immer wieder sehr schön ist) – wir waren in der Vergangenheit schon oft dort.
Tag 25 – Gegen Wind und Strom (12/IX)
Das Wetter ist herrlich, aber die westlichen Böen lassen, auch in unserer geschützten Lage, die Riggs pfeifen. Da der Wind erst gegen Nachmittag etwas abnehmen soll, gehen wir den Morgen etwas ruhiger an. Wie schon so oft in Troense frühstücken wir auf der Terrasse vom Clubhaus und beobachten die wenigen Boote draußen. Es ist schon spannend zu sehen: Alle Boote mit Ostkurs werden von Leuten in kurzen Klamotten gesteuert, auf allen Booten mit Westkurs tragen die Crews nasses Ölzeug und Rettungswesten.
Am Vormittag erledigen wir noch einige Arbeiten am Boot, zum Beispiel befreien wir den Seewasserfilter von einer Menge Seegras, dann gibt es mit den Nachbarliegern gegenseitige Bootsführungen.
Am späten Mittag machen wir uns dann auf gen Westen. Bis Svendborg haben wir noch etwas Windschatten, die Holzschiff-Pier liegt aber voll im Schwell – wir sind froh dort nicht über Nacht gelegen zu haben. Die nächsten Meilen geht es unter Motor gegen Wind und Strom, bis wir nördlich von Skarø Segel setzen können.
Es ist ungemütlich und recht frisch, aber mit dem westlich drehenderen Wind können wir sogar das Fahrwasser zwischen Avernakø und Drejø halten. Während nördlich von uns schwere Schauer durchziehen, haben wir Glück: Bis auf ein paar Tropfen Regen, erwischt uns nur die Gischt.
Durchschnittsgeschwindigkeit: 5.12 knots
Gesamtzeit: 03:45:46
Unser heutigen Ziel ist Søby, hier hatte Ingeborg ein paar Jahre ihren Heimathafen. So idyllisch wie die alten Handels- und Schiffahrtsstädte Ærøskøbing und Marstal ist der Ort zwar nicht, aber der Hafen liegt geschützt und die Werft sorgt für geschäftiges Treiben.
Auch wenn der Ort selber keine nennenswerten Sehenwürdigkeiten bietet, so ist er ein guter Ausgangspunkt für Erkundungen auf der Insel. Von Søby aus fahren nicht nur die Fähren nach Fåborg und Fynshav, man kann vom Hafen aus auch die ganzjährig kostenfrei nutzbaren Busse für eine Fahrt über Ærø nutzen. Wem nach etwas mehr Bewegung ist, der sollte eine Wanderung auf dem Weg entlang des nordöstlichen Hochufers der Insel bis zum Leuchtturm Skjoldnæs unternehmen.
Wir treffen uns mit unserem Freund Erik, der mittlerweile auf der Insel lebt und auf der Werft arbeitet. Während eines schönen Abends bei leckerem Bier und Burgern erzählt er uns viel von Land und Leuten, besonders aber von seinen Erfahrungen während der großen Sturmflut im Oktober 2023 – Hafen und Docks waren komplett abgesoffen.
Tag 26 – Kurs Wackerballig (13/IX)
Irgendwie ist an den letzten Tagen unserer Urlaube immer Starkwind angesagt, so auch dieses Jahr; von daher setzen wir bereits heute unseren Kurs nach Wackerballig. Bei dem kräftigen Nordwest lassen wir bis zur Nordspitze der Insel den Motor noch mitlaufen, dann können wir abfallen und Ingeborg fängt an zu laufen – mit halbem Wind geht es flott bis zur Südostspitze von Als, dort nimmt der Wind aber leider ab.
Wir können den Leuchtturm Kalkgrund gut anhalten, und so sind wir schon bald in der Geltinger Bucht. Hier ist es auch wie jedes Mal: Kurz vorm Hafen nimmt der Wind zu, und die Manöver werden etwas spannender.
Durchschnittsgeschwindigkeit: 4.56 knots
Gesamtzeit: 05:23:23
Um das Boot besser entladen zu können, legen wir uns nicht in unsere Box sondern vor Kopf an Steg B; über die Seite lassen sich unsere geplanten Arbeiten sehr viel leichter erledigen – vor allem der Transport unseres schweren Herds.





































