Törns

Sommertörn ’24 – II

Tag 8 – Ebeltoft (26/VIII)

Über Nacht war es noch recht ruhig, aber während des Vormittags ziehen die ersten dunklen Wolken über die Bucht, und der Wind nimmt zu. Unsere Entscheidung für den Liegeplatz an der Südmole war genau richtig, denn jetzt werden wir vom Kai weg getrieben und ersparen uns das Quietschen und Scheuern der Fender.

Wir machen eine kleine Runde durch den Hafen, nutzen die gute Sanitäranlage zum ausgiebigen Duschen und schnacken mit den wenigen Nachbarn. Nach dem Frühstück machen wir uns auf den Weg in den Fischereihafen und die Stadt.

In dem kleinen, aber exzellent sortierten Fischladen kaufen wir etwas fürs Abendessen, in dem nahegelegenen Spezialitätengeschäft füllen wir unsere Rum Vorräte wieder auf. Auf dem Weg in die Stadt haben wir noch etwas Spaß bei der Marineforening, und irgendwie müssen wir dabei an den YouTube Kanal der Bruty und Jörgs immer wiederkehrenden Kommentar denken: „Egal wo man durch Dänemark läuft, immer liegt irgendwo eine Seemine herum.“

Mittlerweile ist aus dem Laufen bei mir eher ein Humpeln geworden, und als auch noch ein leichter Niesel einsetzt, mache ich mich auf den Weg zurück an Bord.

Robbi plündert noch die Supermärkte, dann kommt er pünktlich zum Kaffee zurück. Abends gibt es dann frische Muscheln und andere Leckereien aus dem Meer – den Absacker können wir dann sogar noch draußen zu uns nehmen.

Tag 9 – Treffen auf See (27/VIII)

Der Wind hat merklich nachgelassen und von Südwest auf Süd gedreht. Wir lassen uns etwas vom Steg weg treiben, dann fährt Robbi sein erstes Hafenmanöver mit der neuen Maschine: Da die Kurve in die Hafenausfahrt für uns zu eng und zur falschen Seite geht, nutzt er das große, freie Hafenbecken für eine Komplettdrehung über Steuerbord – dann liegt die Durchfahrt direkt vor uns.

Die ersten Meilen laufen wir noch unter Motor und machen die Segel klar, dann laufen wir hart am Wind unter Fock und Besan nach Osten. Unser Ziel ist der Eingang vom Isefjord.

Auf der Höhe von Øer Strand dreht der Wind aber immer weiter nach Osten, und so können wir den Kurs Richtung Sjælland kaum noch halten. Als wir gerade unsere Optionen überdenken, sichten wir am Horizont die Songlines; Lars und Alex wollen doch nicht auf direktem Weg in die Heimat, sondern noch einen kleinen Abstecher nach Anholt machen – da sind wir doch dabei!

Kurz vor Hjelm setzen wir nicht nur Groß und Klüver, sondern auch gemeinsam mit Songlines einen Kurs nach Norden. Auf den Meilen bis Grenaa laufen wir fast parallel, und so können wir ein paar schöne Photos vom jeweils anderen Boot machen. Ich segel jetzt seit 30 Jahren mit eigenem Boot und habe noch nie so viele Photos davon gesehen, wie nach diesem tollen Törn!

Songlines ist minimal schneller, und so brauchen wir nur zu folgen, das ist natürlich viel entspannter, als den ganzen Tag auf Kompass und Plotter zu gucken – Seezeichen und Landmarken sind hier draußen Mangelware.

Heute ist es einfach, Anholt zu erreichen: Man segelt von Grenaa aus circa 10nm bis zum ersten Windrad, fährt dann ungefähr 10nm am Windpark entlang und hält nach dem letzten Windrad auf den gut sichtbaren Sendemast hinter dem Hafen von Anholt zu – nach wiederum knapp 10nm hat man die Insel erreicht.

Während man heute also fast ohne Navigationshilfen auf die Insel kommt, war es früher nicht so einfach; ohne den Windpark gab es keine sichtbaren Wegpunkte, und man segelte eine Zeit ohne Landsicht – viele trauten sich das nicht zu, und so haftete Anholt immer etwas Besonderes an.

Mein erster Besuch auf der Insel war noch ohne GPS, die knapp 50nm von Samsø mussten wir per Hand koppeln, und als die Insel langsam hinter dem Horizont auftauchte, waren alle wirklich glücklich. Als ich 2002 zum ersten Mal mit Lotte dort war, hatten wir ein GPS und konnten unsere Positionen einfach und schnell in die Karte eintragen, auf dem Sommertörn 2017 hatten wir einen Plotter – Anholt war entzaubert.

Die Frage nach dem Erreichen stellt sich heute nicht mehr, und so macht sich jeder, für den 30nm nicht zu weit sind, auf den Weg über das Kattegat – Anholt ist nur noch eine unter viele Destinationen.

Gesamtstrecke: 52.75 NM
Durchschnittsgeschwindigkeit: 5.54 knots
Gesamtzeit: 09:54:37

Fast 15.000 Sportschiffer besuchen jährlich den Inselhafen, so dass es hier in der Hochsaison oft turbulent zugeht. Gelegentlich ist der Hafen derartig überfüllt, dass er aus einem einzigen, riesigen Päckchen an Gastbooten zu bestehen scheint. Pech für den, der früh kommt und früh lossegeln will. Der Massenandrang scheint die Anholt‑Fans dennoch nicht zu schrecken.

Ende August haben wir aber gute Chancen auf einen Liegeplatz. Wir diskutieren noch das Handling mit der Heckboje, da sind wir auch schon im Hafen – jede Überlegung war unnötig, denn wir finden einen schönen Platz längsseits an einer der Schwimmbrücken.

In den letzten Strahlen der Sonne klaren wir das Boot auf, bei vier Segeln dauert das ja schon eine Weile, dann treffen wir uns zum Absacker auf Songlines – heute war ein phantastischer Segeltag!

Tag 10 – Fischers Fritze (28/VIII)

Während ich noch im Tiefschlaf liege, klingelt Robbis Wecker, er will heute Jomfruhummer kaufen und unbedingt als erster bei den Fischern sein. Als er sich um kurz nach 5 auf den Weg macht, drehe ich mich nochmal um – als er um 6 mit leeren Händen wiederkommt, kann er in die warme Koje krabbeln.

Robbi hatte ein leeres Fischerboot gefunden und dachte wohl, dass er zu spät war; ein Blick auf das AIS zeigte aber, dass alle Fischer noch auf dem Rückweg zur Insel waren.

Gegen 8 Uhr machten wir uns dann gemeinsam auf, und nach kurzer Zeit standen wir in einer Gruppe von wartenden Insulanern – alle mit Blick auf ihr Handy und damit das AIS Signal der Fischerboote.

Mit einem Sack voller leckerer Jomfruhummer geht es zurück an Bord, auf Songlines scheint noch alles tief und fest zu schlafen. So gibt es Frühstück nur für uns zwei, dann macht sich Robbi, gemeinsam mit Lars und Alex, auf den Weg ins Dorf.

Als wir 2017 zum ersten Mal gemeinsam mit Lotte auf Anholt waren, gab es zur Insel den folgenden Eintrag:

Die paradiesische Landschaft der zehn Kilometer langen und fünf Kilometer breiten Insel übt eine magnetische Wirkung aus. Ein einzigartiges Dünengebiet, eine kleine Flugsandwüste, Steinwälle und Wacholderbeersträucher sowie das Lagunengebiet “Flakket” im Nordwesten der Insel mit vielen Vogelarten und großem Brutgebiet locken nicht nur Sportschiffer, sondern auch zahlreiche Touristen an, die mit der Fähre vom Festland (Grenaa) herüberkommen. 50.000 Gäste sind es insgesamt, die jedes Jahr Anholt besuchen – bei nur 160 Einwohnern.

Während im Westen eiszeitliche Moränenhügel das Landschaftsbild bestimmen, ist der Ostteil von Anholt flach – die Sanddünen ausgenommen. Die höchste Erhebung ist der Sønderberg. Von diesem fast 50 Meter hohen Hügel im Westen des Eilands lassen sich bei sehr guter Sicht sogar die dänische und die schwedische Küste ausmachen.

Durch den dichten Nadelwald der Westinsel gelangt man nach einer Stunde Fußmarsch zum einzigen Dorf “Anholt By”, das 120 Einwohner zählt. Es strahlt Gemütlichkeit aus und wird heute neben Landwirten auch von Künstlern und Kunsthandwerkern bewohnt, die ihre Arbeiten zum Verkauf anbieten. Freilich leben auch Fischer in der winzigen Inselhauptstadt, aber ihre Flotte ist in den vergangenen Jahren kleiner geworden, weil der Transport der Fänge nach Grenaa Probleme aufwarf. So mancher Fischer ist daher aufs Festland gezogen. Die Verbliebenen fangen heute hauptsächlich Langusten und Seezungen.

Die sehenswerte Kirche des Dorfes soll 1819 deswegen erbaut worden sein, weil eine ganze Hochzeitsgesellschaft auf dem Rückweg von der Trauung auf dem Festland in Seenot geriet und das jung vermählte Paar um ein Haar ertrunken wäre. Fundamentreste zeugen allerdings von einem noch älteren Kirchenbau. Das Innere schmückt ein romanisches Taufbecken aus Halland (Schweden) und eine 100 Jahre alte Altartafel, die Jesus zeigt, wie er auf dem Wasser geht. Die Glocken am Altar, ein Geschenk des Inseleigentümers im Jahr 1716, sollten 1909 umgegossen werden, aber der Kapitän, der sie zum Festland fuhr, fürchtete die Strafe Gottes, kehrte unterwegs um und brachte die Glocken zur Insel zurück. Es fand sich niemand mehr, der bereit gewesen wäre, sie zum Festland zu transportieren.

Die feinsandigen Strände zu beiden Seiten des Hafens (insgesamt 26 Kilometer Sandstrand) sind ein weiterer Grund für die Beliebtheit Anholts. Ausgedehnte Spaziergänge entlang der Küste gehören für die meisten Besucher zum Pflichtprogramm. Da sich die Mehrzahl der Sportschiffer allerdings lieber dem Sonnenbad am Strand beim Hafen hingeben, findet man bereits ein paar hundert Meter abseits des Trubels ein ruhiges Plätzchen ganz für sich allein.

Einsamkeit ist erst recht im östlichen Dünengebiet garantiert. Je östlicher, desto einsamer, lautet auf Anholt die Faustregel für diejenigen, die den sommerlichen Trubel hinter sich lassen wollen. Ihnen ist die Tageswanderung zum Leuchtturm im Osten daher unbedingt zu empfehlen. Zwar steht fast die ganze Insel unter Naturschutz, aber die “Wüste” darf zu Fuß durchquert werden.

Von vorgeschichtlicher Zeit erzählen archäologische Funde des jüngeren Steinzeitalters (Grubenkeramische Zeit). Vereinzelt sieht man auf Steinblöcken noch immer die Spuren der Anfertigung von Flintsteinwerkzeugen. Die Wohnplätze der Steinzeitmenschen haben dort gelegen, wo sich auch heute das Dorf befindet. Aus der Bronzezeit wurden bislang keine Funde gemacht; dafür entdeckte man Hausrat aus der Wikingerzeit, als der Sage nach der Seeräuber Borris in seiner Burg auf dem Sønderbjerg nach vorbeifahrenden Schiffen Ausschau hielt.

Über die Geschichte der Insel ist außerdem bekannt, dass Anholt noch völlig mit Kiefern bewachsen war, als der dänische König im frühen Mittelalter hier zur Jagd blasen ließ. Im Laufe der Zeit holzten die Bewohner jedoch die meisten der Bäume ab, weil sie das Holz als Brennmaterial für die Salzgewinnung und zur Befeuerung des ersten Leuchtturmes benötigten. Der sich heute im Westen längs der Küste erstreckende Kiefernwald wurde aufgeforstet, nachdem die Insel vor rund 150 Jahren fast baumlos war.

Ein listiger dänischer Offizier soll 1658, beim Friedensschluss von Roskilde, auf geniale aber einfache Art verhindert haben, dass die Insel an Schweden abgetreten werden musste. Er schenkte sich und seinen Verhandlungsgegnern Bier ein, trank schnell aus und plazierte seinen Krug auf der Karte genau an der Stelle, wo das Eiland eingezeichnet war.

1668 wurde Anholt an den Zollverwalter Peder Jensen Grove verkauft, dessen Frau nach seinem Tod den Adligen Hans Rostgaard von Krogerup heiratete. Den Nachfahren der Adelsfamilie gehört Anholt heute noch.

Als ein strategisch wichtiger Punkt im nördlichen Kattegat war die Insel besonders während des dänisch-englischen (1807‑1814) Krieges heiß umkämpft. Zunächst löschten die Dänen das für die Engländer wichtige Leuchtfeuer von Anholt, woraufhin die Engländer eine Fregatte zum Feuerschiff umfunktionierten und vor Anholt verankerten. Aber die Besatzung des Schiffes geriet im Eisgang in Seenot, musste sich zur Insel retten und wurde zu ihrem Erstaunen auf der Insel nicht feindlich empfangen, sondern nach altem Brauch als Gestrandete freundlich versorgt. Das hielt die Engländer nicht davon ab, die Insel ein halbes Jahr später zu erobern, obwohl sie auf den heftigen Widerstand von 100 Soldaten eines jütländischen Regiments stießen. An die blutigen Versuche der Dänen, die Insel zurückzuerobern, erinnern Grabsteine auf dem Friedhof von Anholt By und ein kanonenumringtes Mahnmal im Dorf. Bis zum Ende des Krieges gelang es den Engländern, Angriffe zurückzuschlagen und darüber hinaus beim Leuchtturm im Osten eine kleine Festung zu erbauen, deren Überreste heute noch zu sehen sind.

Rund 130 Jahre später, während des Zweiten Weltkrieges, zählten deutsche Truppen zu den unerwünschten Besuchern. Allerdings hatte die Besetzung die positive Folge, dass der Hafen ausgebaut wurde. Welche Bedeutung die Militärs der Insel noch immer beimessen, ist an dem hohen Radarturm oberhalb des um 1900 gebauten Hafens zu sehen.

Ein strategisch günstiger Punkt für einen Zwischenstopp auf der Seereise zwischen Dänemark und Schweden ist Anholt heute vor allem für die Sportschiffer, die außerdem das Klima der Insel schätzen. Statistisch gesehen ist sie der sonnenreichste Platz Dänemarks, was durch die karge Vegetation auf der Ostseite der Insel und die Trockenheit im Sommer untermauert wird. Spärliches Heidekraut und vereinzelte Birken wachsen auf dem sandigen Boden im Osten der Insel, auch Strandhafer und Krähenbeeren.

Die heute 22 km² große Insel entstand im Jahr 15.000 v. Chr. ganz allmählich während der Eisschmelze. Ein Eisring legte sich um das Eiland und bildete die Randmoränen, nachdem das Eis an den höchsten Punkten abgeschmolzen war. Vom Druck des abfließenden Eises langsam befreit, begann das Land, sich zu heben. Aber noch war Anholt mit dem Festland verbunden. Erst um 7000 v. Chr. stieg das Wasser mehr als das Land. Anholt wurde eine Insel, die zunächst nur aus dem heutigen Westteil bestand. Der flache Strandwall, die “Wüste”, östlich der Hügel bildete sich im Laufe der folgenden 5000 Jahre.

Erst in den vergangenen 100 Jahren entstand das bereits erwähnte Flakket, ein flaches, feuchtes Vorland mit Strandwiesen nordöstlich des Hafens, das heute zum Schutz der brütenden Vögel nicht betreten werden darf. Steißfuß, Schwan, Eiderente, Säger, Taucher, Bläßhuhn, Wasserhuhn, Kiebitz, Möwen und verschiedene Entenarten sind mit dem Fernglas zu beobachten.

Anholt weist einen beachtlichen Bestand an Seehunden auf, die hier ihre Jungen bekommen. Naturschützer richten daher die dringende Bitte an Besucher, die Seehundjungen (Heuler) keineswegs zu berühren, sonst verlässt die Mutter ihr Junges. Sorge bereitet Umweltschützern und Insulanern außerdem die akute Brandgefahr, die fast jedes Jahr während der Sommermonate herrscht. Rauchen im Wald ist strengstens verboten und jeder Gast ist bei Feuerausbruch aufgefordert, den Brand mitzubekämpfen.

Während die anderen die Insel unsicher machen, liege ich in der Hängematte auf dem Vorschiff und lese; vor dem Essen geht es für alle zum Baden.

Unsere Jomfruhummer gibt es dann bei Ingeborg im Cockpit, bevor wir noch einen Absacker auf Songlines genießen.

Tag 11 – Anholt ist immer einen Besuch wert (29/VIII)

Eigentlich wollten wir nur einen Tag auf Anholt bleiben, aber der Wind pfeift über den Hafen und so beschließen wir noch etwas zu verweilen und lassen den Tag ruhig angehen. In der Sonne ist es warm und schön, nur mit meinem Zeh habe ich Schwierigkeiten am Strand – wir stromern also durch den Hafen, machen das Boot etwas sauber, schnacken mit den Nachbarn und gehen Baden.

Lars hatte gestern wohl genug Seafood bekommen, und so macht er sich mit Alex nochmal ins Dorf und zu dem kleinen Laden auf; heute soll gegrillt werden.

Der schöne Grillplatz liegt gut geschützt in den ersten Dünen hinter dem Hafen, aber so viel Schutz ist gar nicht mehr notwendig, denn der Wind hat spürbar nachgelassen – leider so stark, dass sich während unseres Abendessens die Mücken nur so auf uns stürzen.

Später sitzen wir noch unter der Kuchenbude von Songlines – mückenfrei und ganz entspannt.

Tag 12 – Kurs Südost (30/VIII)

Der Wind kommt frisch aus West-Südwest, die Sonne scheint und während ich das Frühstück vorbereite, macht Robbi noch einen Abstecher zu den Fischern. Dieses Mal kommt er nicht nur mit Jomfruhummern zurück, in seinem Eimer befinden sich auch einige Taschenkrebsscheren.

Nach dem Frühstück bereiten wir das Ablegemanöver vor: Um nicht gegen den Wind durch die Heckbojen drehen zu müssen, verholen wir das Boot per Hand an das Ende vom Steg. Mit Hilfe der Nachbarn gelingt das trotz des auflandigen Windes sehr gut, und so sind wir schnell im freien Hafenbecken.

Im Vorhafen setzen wir Besan und Fock, dann geht es durch die Molenköpfe aufs Kattegat. Direkt vor dem Hafen steht eine ziemliche Welle, und leider kommt auch der Wind ein paar Grad zu südlich – für die erste halbe Meile muss unser Motor kräftig schieben. Direkt südlich der Hafeneinfahrt liegt eine Sandbank mit nur 1,8m Tiefe, auf die dürfen wir auf keinen Fall geraten. Unsere neue Maschine schiebt uns aber zuverlässig ins freie Fahrwasser, und so können wir nach kurzer Zeit abfallen; mit halbem Wind laufen wir Kurs Øresund.

Als wir endlich auf ruhigen Kurs sind, lassen wir uns die vergangenen Minuten nochmal durch den Kopf gehen: Mit unserem alten Motor hätten wir nie gegen Wind und Welle fahren können, auch nicht mit der Unterstützung der Segel. Unser Sommertörn hätte ziemlich sicher auf der Sandbank geendet, und ob wir die Dicke da wieder runter bekommen hätten, ist verdammt fraglich. Wir sind also sehr dankbar für die neue Maschine, so haben wir lediglich ein paar Wellen mitgenommen – die Klamotten trocken aber schnell in der Sommersonne.

Unsere schöne Fahrt dauert leider nur eine knappe Stunde, dann wird der Wind immer schwächer. Wir überlegen Groß und Klüver zu setzen, aber leider nimmt der Wind nicht nur ab, er dreht auch immer westlicher. Mittlerweile kommt er genau von achtern, und da bleiben wir bei unserer aktuellen Besegelung.

Nach einer weiteren Stunde wird der Wind noch schwächer, und Ingeborg schlingert bei der achterlichen See unangenehm hin und her; wir starten den Motor und laufen weiter Kurs Helsingør.

Über Mittag schläft der Wind fast vollständig ein, gleichzeitig nimmt aber auch die Wellenhöhe ab. Ich nutze die ruhigere Fahrt und koche Robbis Jagdbeute.

Am frühen Nachmittag taucht die Halbinsel Kullen vor uns auf, der 16km Höhenrücken markiert auf der schwedischen Seite die Einfahrt zum Øresund. Die Felsen brechen zum Teil senkrecht ins Meer ab, durch den Wellenschlag des Kattegat sind im Laufe der Jahrtausende Felsburgen, Kliffs und Grotten entstanden.

Wir halten uns auf der dänischen Seite des Sunds und folgen der Küste von Sjælland. Schon aus der Ferne ist das mächtige Schloss Kronborg zu sehen, eine der bedeutendsten Sehenswürdigkeiten der Region und der Schauplatz des Dramas „Hamlet“ von William Shakespeare.

Gesamtstrecke: 58.47 NM
Durchschnittsgeschwindigkeit: 5.56 knots
Gesamtzeit: 10:55:01

Wir lassen Yachthafen und Schloss westlich liegen, und laufen in den alten Handelshafen ein; hier, auf dem Gelände der ehemaligen Helsingør Skibsværft, liegen das 2010 eröffnete Kulturzentrum „Kulturværftet“ und der Kulturhafen „Kulturhavn Kronborg“.

Mit Hilfe eines freundlichen Nachbarn finden wir einen schönen Liegeplatz mit Blick auf das Schloss. Kaum sind wir mit dem Abendessen fertig, kommt Songlines im letzten Licht des Tages in den Hafen – natürlich dürfen Lars&Alex bei uns längsseits kommen.

Tag 13 – Helsingør (31/VIII)

Wir sind noch nicht ganz wach, da hören wir schon neben uns einen Motor: Songlines macht sich am frühen Morgen auf den Weg gen Süden. Wir hatten uns schon gestern Abend verabschiedet, und so winken wir lediglich schlaftrunken aus dem Niedergang.

Das Wetter ist herrlich, und wir nutzen den schönen Tag für eine Tour durch die hübsche Stadt. Unser erster Weg führt uns zu dem nahegelegenen Renaissanceschloss – Kronborg hat schließlich die ganze Nacht über uns gewacht.

Der Vorläufer des mächtigen Bauwerks am Eingang des Øresund war eine um 1420 von Erich von Pommern errichtete Burg. Leider war diese durch die rasante Entwicklung der Feuerwaffen bald veraltet, und so wurden ab 1558 Bastionen um die Burg errichtet. Unter König Friedrich II. begann der Umbau der Anlage im Stil der niederländischen Renaissance. Einige wenige Jahre war das Schloss eines der prächtigsten Bauwerke des 16. Jahrhunderts, bevor ein Großbrand Kronborg 1629 weitgehend zerstörte. Obwohl Christian IV. die Burg sofort wieder aufbauen ließ, diente sie viele Jahre lang nur als Kaserne und war daher bald renovierungsbedürftig.

Unterhalb der Wälle, in den Kasematten, wartet der Sagenheld Holger Danske darauf, die Dänen zu retten. Der Legende nach erwacht er jedoch erst, wenn das Land in größter Gefahr ist. Auf den begehbaren Bastionen vor dem Schloss lässt Shakespeare in seinem Drama „Hamlet“ den Geist des dänischen Königs an den Wachen vorbeiziehen. Im Jahr 2000 wurde Kronborg in den Rang einer Welterbestätte erhoben.

Mit Rücksicht auf meinen Zeh, und aufgrund des schönen Wetters, verzichten wir auf eine Tour durch das Museum und laufen Richtung Stadt.

Direkt neben der Festung befinden sich das neue Kulturzentrum „Kulturværftet“ und, integriert in ein ehemaliges Dock, das dänische Schifffahrtsmuseum. Es dokumentiert die Geschichte des Schiffbaus und Seehandels und erklärt auch, woher Friedrich II. die immensen Mittel für den Bau von Kronborg nahm: aus dem Sundzoll. Jedes Schiff, das den Sund durchfuhr, musste seine Flagge abnehmen und in Helsingør einklarieren. Der Zoll wurde bereits von Erich von Pommern eingeführt, und über 400 Jahre sorgten Kanonen auf beiden Seiten des Sunds für klingelnde Kassen. Erst nach dem Frieden von Roskilde wurde der Sundzoll abgeschafft; die dänische Provinz Skåne fiel an die Schweden, und Helsingør wurde mit einem Schlag zur Grenzstadt.

Die Stadt hat aber viel mehr zu bieten als Schloss und Hafen. Wir halten uns auch am Kulturzentrum nicht lange auf und wandern zum Axeltorv, einem großen Marktplatz und Treffpunkt für Jung und Alt.

In der Nähe des Marktplatzes liegt der gut erhaltene mittelalterliche Stadtkern von Helsingør, mit dem Stadtmuseum im Karmeliterhaus und dem Rathaus. Die Glasmosaike in der Rathaushalle zeigen Motive aus der Geschichte der Stadt, in der Königin Margarethe I. eine entscheidende Rolle spielte: Sie vereinte die drei nordischen Königreiche in der Kalmarer Union, und die Stadt profitierte von ihrer zentralen Lage in diesem Gebiet.

In den alten Klostergebäuden bei der St. Marienkirche findet man eine umfangreiche Sammlung historischer Handwerksgeräte, und die Kirche beeindruckt durch ihre prachtvolle Ausstattung und die prächtige Orgel, auf der der weltberühmte Barockkomponist Dietrich Buxtehude zwischen 1660 und 1668 spielte.

Da ich langsam nicht mehr laufen kann, machen wir uns in einem Bogen wieder auf den Weg zum Hafen – im Fähr- und Handelshafen herrscht immer reges Treiben. Am Kronborgvej südlich des Schlosses und am Færgevej stauen sich in der Saison die Autos, die auf die schwedische Seite des Sunds übersetzen wollen.

Obwohl die Stadt mit knapp 46.000 Einwohnern sicherlich nicht sehr groß ist, begegnen wir Menschen und Sprachen aus allen Teilen der Welt: Neben betrunkenen Schweden, die bereits am Mittag den günstigeren dänischen Alkohol in der Sommersonne genießen, und vielen deutschen und amerikanischen Touristen fallen vor allem die vielen Männer aus dem Nahen Osten auf – so viele Barbiere und Shisha-Bars kennen wir sonst eher aus Hamburg oder Berlin.

Zurück an Bord gibt es erstmal Kaffee, dann leihen wir uns von unserem netten Nachbarn sein Lastenfahrrad für den Weg zur Tankstelle. Später gibt es dann die Krebsscheren, und hinterher laden wir unseren Nachbarn zum Bier ein – er hat hier einen alten Colin Archer und weiß viel über die Traditionsseglerszene in Dänemark, und speziell hier am Sund, zu berichten.

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